(c) Karin Sittenauer 2001 Die Abenteuer aus Tir Usheen

Kilmainagh, Hauptstadt von Dragdanagh
Im Jahre 1410 nach der Zeitrechnung der Menschen -
               2410 nach dem Elfenkalender

Kleine Aufträge

Warum schimmerte der Stahl ihres Schwertes im Kerzenlicht bläulich? Wie oft war es vom Schmied gefaltet worden? Fünfzig Mal, hundert Mal oder noch häufiger? Solche Fragen stellte sich Ekena, als sie mit schwingenden Bewegungen die winzige Kerbe herausschliff, die seit dem kurzen Kampf der letzten Nacht die Schneide verunstaltete. Ein Saatkorn des Verfalls, das keimte, wenn man es nicht ausmerzte. 

So sehr die blonde, junge Frau den Stahl betrachtete, sie konnte nicht zählen, wie viele Faltungen es erfahren, auch nicht, wie viele Menschen es bereits als warme Umarmung gespürt hatte, aber sie sah die feinen Linien, die es hart machten und unnachgiebig. Zarte Wellen auf kaltem Stahl, Kinderlächeln zu Eis gefroren.

Ihre Gedanken wanderten weiter, zu ihrem Vater und dem Tag, an dem er ihr eröffnet hatte, dass sie heiraten sollte.

“Roam ist ein junger Mann. Das ist bei arrangierten Ehen durchaus nicht immer der Fall.“ Der Vater hatte hektisch gekeucht, japste immer nach Luft, wenn er sich aufregte. Sein dicker Bauch ließ ihn schnell außer Atem kommen. “Er zahlt ein gutes Brautgeld.”

“Und was habe ich davon?”

“Reichtum und viele Kinder”, hatte der rundliche Mann gelacht und noch ein wenig mehr gekeucht. “Außerdem will er das Haus direkt neben unserem kaufen. Stell dir vor, ein Anwesen in der besten Gegend von Kilmainagh! Sonne von Mittag bis zum Abend und nicht wie bei diesen armen Schluckern, die den ganzen Tag im Schatten der Burg hocken.”

“Was, wenn ich ihn nicht liebe?”

“Liebe kommt mit der Zeit. Die Verbindung ist standesgemäß.” 

“Ich will nicht heiraten!”

“Du tust, was ich dir sage. Ich gebe dir eine schöne Mitgift.” 

Des Vaters kaltes Lachen ging Ekena nie mehr aus dem Sinn. 

Ob er ahnte, dass Roam ein Waffennarr war und womit er sein Vermögen verdiente? Ein solcher Liebhaber guten Stahls, dass er auch seine junge Frau den Umgang damit lehrte. Lautlos legte sie das Schwert zur Seite und machte ihren Dolch bereit, ein besonderes Stück, mit drei Schlangenkörpern, die sich um den Griff wanden. Ein Hochzeitsgeschenk, das Ekena erst später zu schätzen wusste.

Für einen kurzen Augenblick hielt sie inne, legte die Waffe beiseite und ihre schlanken Hände auf den leicht gerundeten Bauch. Das kleine Wesen in ihr bewegte sich, zaghaft nur, aber spürbar. Ja, der Kindersegen ließ nicht auf sich warten, doch mit dem Reichtum war es nicht weit her. Roam hatte sein Vermögen für Haus und Brautgeld ausgegeben. Seitdem wartete er auf die Mitgift, doch der Vater zahlte nicht. Mit der Erledigung kleiner Aufträge hielten sie sich über Wasser. 

Im Sitzen steckte Ekena den Dolch in ihren Umhang und erhob sich. Das Schwert hängte sie nur aus Vorsicht an den Gürtel. Für die heutige Arbeit brauchte sie es nicht – wenn alles gut ging. Die Türe des Schuppens knarrte nicht, als die junge Frau sie öffnete. Wie immer war sie gut geölt. Stille war ein lebensrettender Begleiter in diesem Beruf. Nur wenige Schritte durch nächtliche Dunkelheit und Ekena erreichte das Haus, zog den Schlüssel aus der Tasche und entriegelte die Tür. Ein leichtes Ächzen wollte sie verraten.

Gewandt glitt sie ins dunkle, vertraute Innere. Nichts rührte sich. Das Schnarchen des Hausherren übertönte das Knarren der Treppenstufen. Die junge Frau schob die Schlafzimmertür auf, trat an das Bett und betrachtete das gewohnte Gesicht. So oft hatte sie den Mann schon angesehen. Er zog geräuschvoll seinen Atem ein, um ihn grunzend wieder auszustoßen. 

Ohne weiteres Zögern zog Ekena den Dolch, ein nächtlicher Schatten, und stieß zu. Genau unter den Rippen, schräg nach oben, so dass er das Herz durchbohrte. Nur ein kurzes Röcheln antwortete der Gewalttat, dann blieb es still. Ungewohnt still. Jetzt, so friedlich und leise, sah er beinahe nett aus. Noch bevor Ekena Sympathie aufbauen konnte, wandte sie sich ab.

Ruhig ging die junge Frau zum Brunnen und säuberte den Dolch. Danach huschte sie ins Haus, entkleidete sich und kroch unter die Bettdecke. Zwei warme Arme umfingen sie.

“Ist es erledigt?”, hauchte eine sanfte Stimme in ihr Ohr.

“Ja, ohne Probleme.”

Er küsste sie auf das Ohr. “Wann werden wir das Geld bekommen?”

“Mutter hat gesagt, dass sie die Mitgift bezahlt, sobald Vater tot ist.”

Die Umarmung wurde fester, zärtlicher. Sanft streichelte Roam über Ekenas Bauch. “Den Thronfolger und seine Geliebte morgen übernehme ich. Du musst dich langsam schonen.”

“Schonen?” Ekena kicherte und schlang ihre Arme um ihn. “Soweit ist es noch lange nicht!”

© Karin Sittenauer
 



 
 

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