Scibor Daracht von
Alrivan aus Beann Gulbain erzählte mir bei einem heimlichen Treffen
(auf Grund seiner Vergangenheit und Abstammung wird er immer noch misstrauisch
beobachtet, wenn er Rotritim bereist) in der großen Bibliothek von
Grogtim:
"Zuallererst sei zu
betonen: Elfen in Tir Usheen haben keine spitzen Ohren! Bisher konnte ich
wirklich nicht in Erfahrung bringen, wer dieses alberne Gerücht in
Umlauf gebracht hat. Ich meine, ich bin Elf, bin unter ihnen aufgewachsen,
und habe niemals irgendwo spitze Ohren gesehen!"
Verächtlich schüttelte
er den Kopf und ich unterdrückte ein amüsiertes Lachen. Das mochte
ich an ihm besonders, dass er die kleinen Dinge im Leben so wichtig nahm
und sich andererseits leichtfertig über jegliche Regeln hinwegsetzte.
Ein Mönch ging an dem Regal, hinter dem wir uns verborgen hielten,
vorbei und Scibor schwieg, bis er sicher sein konnte, dass ihn niemand
außer mir hören konnte. Leise fuhr er fort:
"Über Elfen gibt
es ja jede Menge Gerüchte, andererseits glaubt kaum jemand an ihre
wirkliche Existenz. Nun gut, mein Volk will das so. Nicht umsonst verschanzen
sie sich hinter diesem magischen Bannkreis mitten im tiefsten Wald Tornior.
Vielleicht ist es wirklich besser, denn auf meinen vielen Reisen hat niemand
in mir je einen Elfen gesehen. Nun ja,"
jetzt spielte sich
wieder dieses verächtliche Lächeln auf seine Lippen,
"... schließlich
habe ich ja keine spitze Ohren, kann nicht fliegen und schwebe auch nicht
magisch über die Straßen, als würden meine Füße
den Boden nicht berühren."
Ich lachte endgültig
los und er blickte mich strafend an.
"Wie Ihr wisst, bin
ich in Grogtim nicht willkommen. Wollt Ihr mich verraten?"
"Nein, natürlich
nicht, entschuldigt bitte." Mühsam beruhigte ich mich wieder.
"Jetzt also zu den
wirklichen Tatsachen: Im Jahre 1 vor unserer Zeitrechnung - ihr Menschen
würdet es das Jahr 1001 vor eurer Zeit nennen - zerstritten sich die
Elfen, die bis dahin in den heutigen Unbewohnten Ländern lebten, mit
den Erdlingen. Es ging dabei um einen Elfenring. Ihr wisst sicherlich,
dass jeder Elf einen solchen Ring trägt?"
Er zog einen Ring aus
seiner Manteltasche, legte ihn auf seine Handfläche und hielt ihn
mir hin. Ein wunderschönes Schmuckstück. Ein Metall, für
mich sah es wie Weißgold aus, war zum Ring geformt, doch nicht irgendwie,
sondern mit Verziehrungen, die so rein ausgeführt waren, wie es auf
dem zierlichen Schmuckstück kaum möglich schien. Und dazu dieser
funkelnde Edelstein, der die dunkle Nische zu erhellen schien, obwohl er
nicht wirklich leuchtete. Schnell packte Scibor ihn wieder weg.
"Nicht alle sehen gleich
aus. Auf was es ankommt ist im Grunde nur der Stein. Er leuchtet im Dunkeln,
wenn sein Besitzer es will und zeigt uns den Weg. Wobei ein Elf auch ohne
so ein Ding seinen Weg findet und geht und ohnehin im Dunkeln sehen kann.
Jedenfalls ist es ein Gesetz, dass keiner von uns diesen Ring weggeben
darf. Tut man es doch, gehört man nicht länger zu unserem Volk.
Ehrlich gesagt eine Regel, die schon lange abgeschafft gehörte, doch
ein so altes Volk löst sich nur schwer von überlieferten Bräuchen.
In dem Streit mit den
Erdlingen ging es darum, dass einer meiner Ahnen einem Erdling seinen Ring
versprochen hatte, wenn dieser ihn aus dem Sumpf herausführt. Natürlich
gab mein Vorfahr den Ring am Ende nicht aus der Hand. Von da an waren beide
Völker Feinde und im Jahr 1 zogen die Elfen los, überquerten
die Berge und ließen sich in Tir Usheen nieder, genaugesagt in Beann
Gulbain.
Gerüchteweise
muss es noch ein zweites Elfenvolk geben, im Süden, irgendwo bei der
Ebene von Elga. Eine seltsame Vorstellung, Elfen als Steppenbewohner, unmöglich
erscheint es mir jedoch nicht. Die meisten Elfen, das wisst Ihr, suchen
nicht die Nähe der Menschen. Sie leben zurückgezogen in ihrem
eigenen Reich, führen ihr Handwerk aus, studieren alte Weisheiten,
die Kunst und in eingeschränktem Maße auch die Magie. Besondere
innere Fähigkeiten werden innerhalb der Familien weitervererbt und
handwerkliches Können weitergegeben. Dieses Volk verharrt seit Jahrhunderten
und bemerkt es nicht einmal. Ein äußerst unbefriedigender Zustand;
leben in einem selbstgewählten Asyl und dabei sind sie auch noch glücklich.
Sogar unser Aussehen
ist eher langweilig. Blond, groß und schlank, Kleidung in grün,
blau und violett. Nun gut, die Augenfarbe variiert. Ihr Menschen bezeichnet
uns als außergewöhnlich gutaussehend, vermutlich weil es bei
uns keine Hautkrankheiten gibt. - Hören wir auf damit, ich finde mein
Volk nicht so faszinierend."
Ich dachte daran, dass
sein Volk ihn wegen seiner immensen magischen Kräften bewacht und
bespitzelt hatte. Seine Abneigung schien mir verständlich.
"Bei uns ist alles
gleichmäßig und gerade. Ihr Menschen empfindet das als schön,
die meisten Elfen auch. Versteht Ihr, in Beann Gulbain gibt es nicht einmal
einen krummen Baum! Unsere Pferde sind edel und klug, die Blumen blühen
länger und leuchtender, das Gras wächst grüner. Alles ist
so perfekt. Dabei liegt wirkliche Perfektion in der Verschiedenheit. Ich
mag windschiefe, gebückte Bäume, vertrocknetes Gras und zufällige
Farbabweichungen bei Blumen machen sie erst wirklich interessant. Mein
Volk jedoch misstraut allem, das anders ist. Deshalb bleiben die Elfen
unter sich und meiden Leute wie mich."
Mit diesen Worten erhob
sich der schwarz gekleidete junge Mann und machte mir allzu deutlich, dass
ich von ihm nicht mehr erfahren würde. Groß, schlank und gutaussehend
stand er vor mir, mit diesem gefährlichen Glitzern in seinen grünen
Augen, das ihn von allen anderen Elfen unterschied. Ja, auch ich mochte
die wundervolle Verschiedenheit. |