Als ich Nachforschungen
über das Volk der Erdlinge anstellte, kam ich nach Samaltin. In einer
kleinen, schiefen Hütte, die sich an die Stadtmauer lehnte, fand ich
Narranth, den Korbflechter. Meine Frage nach den Erdlingen wollte er zuerst
ignorieren, doch dann begann er zu erzählen:
Erdlinge? Pah! Warum
wollt Ihr etwas von ihnen wissen? Mich haben sie nie interessiert, nicht
bis zu dem Tag, als ich Brir zum ersten Mal sah. Damals war ich noch einer
von König Penbios Jägern. In der Nacht kehrte ich von der Jagd
zurück und da sah ich sie am Fenster stehen.
Dunkles,
welliges Haar und eine Haut so weiß, als hätte sie noch nie
das Sonnenlicht berührt. Auf den ersten Blick erkannte ich nicht,
dass sie ein Erdling war, denn von der Größe her gleichen sie
uns Menschen, oder wir gleichen ihnen, denn die Erdlinge sind das ältere
Volk, ebenso altehrwürdig wie die Elfen. Nur verfügen sie über
keinerlei Magie, abgesehen von ihrer Fähigkeit, innerhalb weniger
Atemzüge festen Boden in Sumpf und Sumpf in festen Boden zu verwandeln.
Brirs dunkelbraune
Augen blickten so traurig, dass sie etwas in mir weckten, das meine Freunde
scherzhaft Beschützerinstinkt nannten. Ich nenne es Liebe. König
Penbios hielt sie gefangen, zu seinem eigenen Vergnügen. Er war ein
schlechter Herrscher, doch bis dahin hatte es mich nicht gekümmert.
Jetzt aber wusste ich, dass es Brir zu Grunde richten würde. So ermöglichte
ich ihr die Flucht. Wir gelangten in die Sümpfe, die Verfolger des
Königs nah auf den Fersen. Und da geschah es: unter mir gab der Boden
nach, ich war in ein Sumpfloch geraten. Angewidert und entsetzt spürte
ich, wie tief im Innern des Morastes etwas meine Beine umklammerte. Mit
einem festen Ruck riss es mich nach unten ... und ich landete unsanft auf
harter Erde, konnte atmen, lebte!
Viele Gestalten (mit
Namen wie Glich, Bnin, Murg) beugten sich über mich. Dunkelbraune,
runde Augen in blassen Gesichtern starrten mich an. Eine der Gestalten
beugte sich herab, nahm meine Hand und zog mich auf die Beine. Welche Kraft,
welche Beweglichkeit. Gegen die Erdlinge sind wir Menschen langsame Schwächlinge
und dennoch begegneten sie mir freundlich. Ich hatte eine der Ihren aus
der Gefangenschaft errettet.
Wobei Erdlinge gemeinhin
den Menschen gegenüber keine Feindschaft empfinden. Sie leben ihn
Todesfehde mit den Elfen. Verirrt sich ein Elf in einen Sumpf, so wird
er
sicherlich getötet. Den Menschen gegenüber verhalten sich Erdlinge
weitgehend neutral, setzen sich nur zur Wehr, wenn man ihnen ein Leid zufügt.
Die unterirdische Behausung
der Erdlinge, die ich sehen durfte, bestand aus einer Vielzahl von Erdhöhlen,
die durch Gänge verbunden waren. So stellte ich mir einen Kaninchenbau
vor. Als Baumaterialien dienten ausschließlich Naturmaterialien wie
Lehm, Holz, Wurzeln, Schilfgeflecht und Steine. Dennoch vermochten sie
damit ihre niedrigen Höhlen angenehm zu schmücken. Das Schilf
wurde in verschiedenen Naturtönen eingefärbt, bevor sie daraus
Matten flochten, die als Bodenbelag und Wandschmuck dienten. Ihre Lagerstätten
polsterten sie mit Heu und als Decken dienten weiche Felle von Hasen. Die
Federn von Moorhühnern schmückten wie Gemälde die Wände
und zeigten Bilder aus dem Leben dieses bescheidenen Volkes.
Was mich befremdete
und gleichzeitig faszinierte, war ihre Fähigkeit, Erdbohrer
abzurichten. Diese etwa zwei Fuß großen Tiere richten sie ab,
auf Befehl Gänge und Höhlen zu graben. Erdbohrer sind meiner
Meinung nach hässliche, bösartige und bissige Tiere. Als ich
dies einmal sagte, erntete ich nur Unverständnis. Diese Graber beißen
keine Erdlinge und die Erdlinge sind ihnen unendlich dankbar, dass sie
sich von ihnen abrichten lassen. Als Mensch, der von Kindheit an die Forderung
des Gehorsams erduldete, fiehl es mir schwer, so zu denken. Doch die Erdlinge
sind ein Naturvolk und sie schätzen dankbar alles, das ihnen das Leben
erleichtert.
Die meisten Mitglieder
des Erdlingsvolkes leben in den Unbewohnten Ländern. Dort gibt es
Sümpfe, so groß, dass Trockenland-Erdlinge (so nennen sich diejenigen,
die in kleinen Sümpfen der Bewohnten Länder leben) davon träumen.
So wandern immer wieder welche ab, zurück in die alte Heimat.
Erdlinge schwimmen
gerne in den Tümpeln der Sümpfe. Es kommt vor, dass sie diese
Teiche künstlich vergrößern, bis sie zu kleinen Seen werden,
um hinterher wieder zu versumpfen. Was die Erdlinge nicht kennen, ist die
Ehe. Sie teilen die Kissen mit dem, den sie gerade begehren. Solange die
Zuneigung hält, kommt es teilweise zu eheähnlichen Verbindungen,
doch diese lösen sich ebenso schnell wieder auf, wie sie entstanden
sind. Männer, Frauen und Kinder sind vollkommen gleichberechtigt und
ihre Meinungen haben in Versammlungen gleiches Gewicht.
Ich
selbst durfte einige Zeit bei ihnen leben, meine Liebe wurde von Brir erwiedert,
doch irgendwann kam der Tag, als es Zeit für meinen Aufbruch wurde.
Ein Mensch wie ich altert zusehends und unheimlich schnell. Erdlinge erreichen
häufig ein Alter von 500 Jahren, erst mit etwa 350 Jahren sieht man
ihrer Haut erste, winzige Fältchen an. Nur wenige Erdlinge habe ich
gesehen, deren Haar zu ergrauen begonnen hat. Ich konnte nicht ertragen,
dass Brir mit einem alten Mann wie mir zusammen ist. So verließ ich
sie, vielleicht auch deshalb, weil das Leben in finsteren Höhlen und
die Angewohnheit, erst nach Einbruch der Nacht ins Freie zu treten, mich
bedrückte.
Alles in allem sind
Erdlinge ein schönes Volk - wenngleich von anderer, wilderer Schönheit
als die Elfen. Sie haben dunkelbraunes bis schwarzes Haar, helle, glatte
Haut, sind schlank und doch faszinierend kräftig. Wie sie verächtlich
anmerkten, kann es einer von ihnen locker mit drei Elfen aufnehmen (von
uns Menschen sprachen sie freundlicherweise in der Hinsicht nicht).
Doch
tragen Erdlinge außer Holzspeeren und Steinschleudern keine Waffen, was sie den Elfen
gegenüber häufig unterlegen sein lässt.
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