Der Halbelf Enis Daracht
von Alrivan besucht häufig seinen Freund Ross Ruald Wadharon, was
"der
Dunkle" bedeutet, in Kilmainagh. Ich kenne die beiden Männer seit
nunmehr dreizehn Jahren, als ich sie ein Stück weit auf einer ihrer
Reisen begleiten durfte. An einem verregneten Abend saßen wir in
Ross' Stadthaus am warmen Kamin im Empfangssalon zusammen. Enis erzählte
uns von seiner ersten Begegnung mit den Mewoks:
Es war früher
Morgen. Die aufgehende Sonne vermochte ihr Licht noch nicht durch das dichte
Laub des Waldes zu senden. Ich drehte mich ein wenig herum und lauschte.
Die Vögel hatten aufgehört zu singen. Meine Glieder fühlten
sich steif an. Ein Gefühl von naher Bedrohung hatte mich geweckt.
Durch das fehlende Zwitschern oder etwas Unheimliches, das sich näherte?
Lautlos drückte ich mich noch tiefer hinter den Strauch, in dessen
Schutz ich häufig schlief, seitdem meine Eltern verschwunden und unser
Hof beschlagnahmt worden war.
Eine ängstliche
Ahnung ließ mich schneller atmen. Ich spürte, dass etwas näher
kam und mit dieser Empfindung kamen die Geräusche. Lange bevor ich
jemanden sah, konnte ich das Keuchen von menschlichem Getrampel unterscheiden.
Nur eines erkannte ich nicht: welche Geschöpfe derart keuchten. Dabei
hatte ich alle Tiere des Waldes gehört, seitdem ich ein Kind gewesen
war. Schließlich war ich neben Tornior aufgewachsen und mich hatte
die Dunkelheit unter dem dichten Blätterdach nie davon abgehalten,
meine Nächte hier zu verbringen.
Deephus zitterte. Der
ansonsten unerschrockene riesige Hütehund drückte sich näher
an mich. Ich legte eine Hand auf sein dichtes Fell, dessen weiße
Farbe den Versuch, mit dem Boden zu verschmelzen, scheitern ließ.
Das wusste er jedoch nicht und ich nahm immer noch an, dass Vorsicht geboten,
Furcht jedoch nicht nötig war. Ein Irrtum, welch ein Irrtum.
„Gleich haben sie uns!“,
keuchte eine Männerstimme in meiner unmittelbaren Nähe.
Durch Laub und Äste
hindurch konnte ich ihn beobachten. Seine ledernen Hosen waren zerfetzt,
vermutlich von Dornen, durch die er gerannt war. Hinter ihm erschien ein
weiterer Mann. Er öffnete den Mund zur Bestätigung, brachte aber
vor Erschöpfung keinen Ton heraus. Ein Stolpern und der Erste stürzte.
Der zweite Mann taumelte zu seinem Freund, wollte ihm aufhelfen, als ein
Rudel durch das Dickicht brach und sie umzingelte.
Von einem Impuls getrieben
wollte ich aufspringen und helfen, doch Deephus leckte meine Hand und brachte
mich damit zur Besinnung. Wahnsinn, jetzt die Deckung zu verlassen, ebensolcher
Irrsinn, zu verharren und zuzusehen, wie ein Rudel über zwei Männer
herfiel. Etwas schlug dumpf in meiner Nähe auf und kullerte vor mein
Versteck. Der Kopf des zweiten Mannes. Die aufgerissenen Augen starrten
mich gläsern an. Das musste ein Traum sein, so etwas konnte nicht
wirklich geschehen. Ich fühlte mich wie gelähmt. Das Klirren
von Stahl, der aufeinander schlug, ließ mich meinen Blick von den
starrenden Augen abwenden.
Das mindestens fünfzehnköpfige
Rudel umzingelte den am Boden liegenden Mann. Er hatte ein Schwert in der
Hand und versuchte sich zu wehren. Ein Rudel welcher Wesen? Immer noch
begriff ich nicht, hörte ihr Hecheln, ihr Schnüffeln und gleichzeitig
ein tiefes Lachen. Sie spielten mit dem letzten Opfer. Während einer
den Mann mit dem Schwert ablenkte, schnappten andere nach seinen Beinen,
fetzten ihm die Stiefel von den Füßen und rissen Fleisch aus
seinen Waden. Er schrie vor Schmerz, das Schwert wurde ihm aus der Hand
geschlagen. Als er auf dem Boden davonzurobben versuchte, stürzte
sich braunes, räudiges Fell auf ihn und eine sabbernde Lefze schloss
sich um seine Kehle.
Mir war übel.
Ich musste etwas tun, doch was? Die Angreifer waren riesig. Wieder ließen
sie den Mann los. Er rappelte sich hoch, stolperte wenige Schritte weiter,
bis der nächste Biss ihn stoppte. So ging das, bis der Mann kraftlos
liegen blieb und die Geschöpfe des Spiels überdrüssig wurden.
Ein Biss in seine Kehle und sein Atem erstarb. Mit menschenähnlichen
Händen durchsuchten sie seine Taschen, nahmen sein Schwert und einen
ledernen Beutel an sich. Ebenso verfuhren sie mit dem anderen Mann, bevor
sie eher gelangweilt zu fressen begannen.
Eine der Bestien richtete
sich langsam auf. Witternd streckte sie eine große, menschliche Nase
in meine Richtung. Auf zwei krummen Beinen, die anstatt Füßen
Wolfstatzen hatten, kam sie auf mich zu. Das Geschöpf hatte dunkles
Fell, ohne Zweifel einen Wolfspelz. Immer noch hielt es ein Schwert. Seine
Ohren stellten sich nach vorne und die menschlichen Lippen verzogen sich
zu einem hämischen Grinsen, was ein Wolfsgebiss zum Vorschein brachte.
Die schmalen Wolfsaugen starrten rot in mein Gesicht.
Zu spät, alles
zu spät. Ich hatte gesehen, wie sie mit mir verfahren würden.
Bevor ich mein Versteck verlassen könnte, hätten sie mich bereits
umringt. Es hatte keinen Sinn. Ich konnte den Gestank von feuchtem Wolfsfell
bereits riechen. Der große Körper vor mir beugte sich nieder.
Deephus spannte seinen Körper an. Meine Hand lag unbeweglich auf seinem
Nacken. Wie eine Maus saß ich in der Falle. Er beugte sich nieder,
in der rechten Tatze das Schwert und mit der linken in meine Richtung fassend.
Ich unterdrückte ein ängstliches Wimmern. Die große Klaue
griff nach dem abgetrennten Kopf. Erleichterung durchströmte mich.
Ich war nicht entdeckt worden! Schneller als ich begriff, sprang Deephus
vor, packte das Handgelenk dieses Monsters und biss zu.
Es knackte und dieses
Wolfstier jaulte auf. Als Deephus ihm an die Kehle ging hing die rechte
Hand schlaff herab. Ein Biss und das Monster lag unbeweglich am Boden.
Wie von einer Sturmböe herumgewirbelt wandte sich jedes einzelne Mitglied
des Rudels um. Alle auf einmal stürzten sich auf meinen treuen Hund.
Warmes Blut spritzte in mein Gesicht, auf meine Kleider. Jetzt wimmerte
ich, doch in dem Lärm konnte es niemand hören. Gleich neben mir
fraßen sie, was sie erbeutet hatten und auch ihren von Deephus getöteten
Gefährten. Kurz darauf zogen sie davon. Ihre blutverschmierten Mäuler
wischten sie an ihren wölfisch stinkenden Kleidern ab und immer noch
stießen sie dieses kehlige, tiefe Lachen aus. Sie bedauerten ihren
Gefährten scheinbar nicht.
Mir aber zerriss es
das Herz. Von meinem treuen Freund war nur noch ein Ohr übriggeblieben.
Das weiße, kurze Fell war nass von rotem Blut. Und ich hatte ihm
nicht geholfen, nicht helfen können. Er wollte mir das Leben retten
und ich war nur in meinem Versteck geblieben und hatte gesehen, wie er
getötet wurde. Sein Blut spürte ich in meinem Gesicht. Nie wollte
ich hierher zurückkehren, niemals wieder würde ich einen Freund
wie Deephus finden. Als ich zum nahen Bach schlich und mich wusch, weinte
ich wie nie zuvor in meinem Leben.
Sie machten mir Angst,
furchtbare Angst und die einzige Art, Angst zu bezwingen, ist Wissen über
das Wesen des Feindes zu sammeln. So schlich ich weiterhin in den Wald,
lautlos und zitternd vor Furcht. Ich rieb mich mit feuchtem Waldboden ein,
um den menschlichen Geruch zu überdecken. In der Zeit schlief ich
in Scheunen und es war auch die Zeit, in der die Leute mich endgültig
zum Spinner erklärten: dreckbeschmiert, zitternd und von Monstern
brabbelnd.
Und doch waren diese
Monster kein Hirngespinst. Sie hatten Deephus zerfleischt, den einzigen
Halt, der mir im Leben geblieben war und sie belauerten das Dorf, während
ich sie belauerte, ein viel zu mickriges Messer im Gürtel und eine
Steinschleuder in der Hand. Die Waffen eines Bauern und jungen Tölpels,
der einen Hund zu rächen suchte.
Frühling wandelte
sich in Sommer, der Boden des Waldes wurde trocken und raschelte unter
den Schritten dieser Geschöpfe. Als der Herbst mit Regen und Kälte
kam, hatte ich Deephus’ Tod noch nicht gerächt, denn je mehr ich von
diesen Geschöpfen ahnte, desto größer wurde meine Furcht
vor ihnen und der Abstand, den ich zu ihnen hielt. Tagelang konnten sie
ihren Opfern nachstellen, sie witterten jede Spur wie echte Wölfe
und kämpften in Rudeln. Wenn sie aber kämpften, so taten sie
es mit Schwertern wie Menschen. Dazu brauchten sie wenig Rast, legten immens
große Strecken in einer Nacht zurück. Es kostete mich viel Mühe,
ihnen zu folgen und meist gab ich vor ihnen auf. Sechzig Meilen waren ihnen
eine Kleinigkeit, wie ein Besuch bei einem nahen Nachbarn.
Sie vereinten die kämpferischen
Vorteile von Menschen und von Wölfen in sich. Das war auch der Grund,
warum ich ihnen den Namen Mewoks verpasste. Das und das Bedürfnis,
meine Furcht vor ihnen zu bezähmen. Ein Feind mit einem Namen schien
mir weniger erschreckend als eine Horde unheimlicher, fremder Monster.
Später erfuhr
ich, dass der Elf und Magier Fheine Daracht von Alrivan aus Wölfen
seine eigene Armee züchtete. Durch Magie verwandelte er sie in diese
menschenähnlichen Kampfmaschinen. Das wölfische Rudelgefüge
blieb erhalten. Mewoks gehorchten und verteidigten, wen sie als Rudelführer
ansahen. Dass dies ihr mächtiger Herr war, steht außer Zweifel.
Nie habe ich von einem Aufstand oder Rangkämpfen gehört.
Als Fheine Daracht
später starb und die Magie nicht länger wirksam war, verwandelten
sich die Mewoks zurück in Wölfe, ließen ihre Waffen und
Kleider zurück und zogen sich ängstlich und verwirrt in die Wälder
zurück. Im Grunde waren sie also nicht selbst an ihren Gräueltaten
Schuld, trotzdem werde ich diese erste Begegnung mit ihnen nie vollständig
vergessen. Das bin ich allein schon dem Andenken meines treuen Deephus
schuldig.
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