(c) James Wappel |
Abenteuer
aus Tir Usheen Samechta. Vor den Toren der Stadt Tiredachan Im Jahre: 1472 nach der Zeitrechnung der Menschen - 2472 nach dem Elfenkalender |
Morrigu Gütige
Götter, sie kam! Larine sah Moriane schon von weitem. Vermutlich
hätte er sie
auch mit geschlossenen Augen erkannt, denn er fühlte ihre
Nähe immer. Sein Herz
schlug jedes Mal zum Zerspringen. Wie war er nur in diese Situation
geraten?
Ihre rote Mähne hob sich bald von den blonden Haaren ihrer
Begleiter ab. Nur wenige
Frauen in Samechta wagten es, ohne Kopftuch das Haus zu verlassen. Wer
aber
hätte es ihr verbieten sollen? Seit Jahren lachte sie jeden aus,
der sich ihr
in den Weg stellte. Als sie näher ritt, blickte Larine in ihre
wilden, zornigen
Augen. “Meine
Morrigu”, murmelte er beinahe unhörbar. Es hatte sie immer zur
Weißglut
getrieben, wenn er sie so genannt hatte. Die Morrigu war eine Hexe,
eine
nachtragende,
böse Frau. Larine aber sah in ihr das Sinnbild für die
stolze, kämpferische und
eigenwillige Kraft, die Moriane auszeichnete. Beinahe
die ganze Kindheit hatten sie gemeinsam verbracht, heimlich hatte er
ihr den
Umgang mit Waffen gezeigt. Und er hatte sie stets geliebt.
Jetzt stieg
sie vom Pferd und trat auf ihn zu. “Bist
du zum Kampf bereit?”, fragte sie kalt. Es
schnürte ihm die Kehle zu. Heute würde er sterben. Das hatte
er im Traum
gesehen. “Wenn
du darauf bestehst. Ich bin fertig”, sprach er mit fester Stimme. Wenn
er
sterben sollte, dann von ihrer Hand. “Welche Waffen wählst du?”,
fragte er. “Waffen!”
Höhnisch lachte sie auf, musterte ihn mit verächtlicher
Miene. “Nein, so
einfach kommst du mir nicht davon!” Sie zog ihr Schwert und warf es zur
Seite,
ebenso Dolch und Wurfstern. “Wir messen unsere Zauberkräfte!” Larines
Bruder trat hinter ihn, fasste ihn an den Schultern und flüsterte:
“Das ist sie
nicht wert und das weißt du ganz genau!” Über dieses Thema
hatten sie schon oft
gestritten und waren nie zu einem Ergebnis gekommen. Auch Eremon, sein
bester
Freund, riet ihm ab, doch heute hörte Larine nicht. Morianes
verächtlicher Blick zerriss ihm das Herz. Warum nur hasste sie ihn
so? Was
hatte er ihr getan? Er konnte sich nicht erinnern. Vor zehn Jahren, an
ihrem
sechzehnten Geburtstag, musste es geschehen sein. An diesem Abend hatte
sie
sich von ihm abgewandt. Seitdem ging sie ihm aus dem Weg, strafte ihn
mit
Verachtung oder verspottete ihn. Alle im Land wussten das und lachten
hinter
seinem Rücken, weil er sich nicht zur Wehr setzte. Bis
gestern Abend, als er die Geduld verloren hatte. Im Burghof, vor
versammelter
Ritterschaft, hatte er sie angeschrien. Und sie hatte gelächelt,
kalt und
triumphierend. In dem Moment war ihm bewusst geworden, dass sie ihn
absichtlich
provoziert hatte. Nun stand er hier und schuldete ihr Genugtuung. “Mir
ist gleichgültig, auf welche Art du mich tötest”, sprach er
und öffnete seinen
Schwertgurt. Dabei
löste er seinen Blick nicht von ihren Augen, sah, wie ihre rechte
Braue sich
verwundert hob. ‚Wie früher‘, dachte er, ‚wenn ich sie
überrascht hatte.‘ Er
nahm einen sicheren Stand ein und konzentrierte sich. Als
Kinder hatten sie Erzählungen gelauscht, wie Druidenkämpfe
vonstatten gingen,
wie Zauberer sich maßen. Nicht, dass Larine Berge versetzen
konnte oder ein
unwirkliches Heer herbeirufen, aber so manch andere Dinge versuchte er
jetzt.
Sturm und Regen, Tiergestalten. Er verwandelte sich in züngelnde
Flammen, rieb
sich an ihr, die zum Eisblock erstarrt war. Selbst in diesem Augenblick
traf
ihn die bittere Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Er brachte
ihr kaltes
Herz nicht zum Schmelzen. Wenn
sie nur je mit ihm gesprochen hätte! All die Jahre hatte er
versucht sich zu
entschuldigen, auch wenn er nicht wusste wofür. Seinen Kampf
führte er nur
halbherzig, rechnete sich schon zu Beginn keine Chance aus. Er
konzentrierte
seine Kräfte auf Verteidigung, wollte Moriane nicht verletzen.
Außerdem diente
er seit acht Jahren als Botschafter des Königs, war ein
Bücherwurm geworden,
handelte Verträge aus. Mit Magie beschäftigte er sich seit
langer Zeit nicht
mehr. Moriane
dagegen schien eine Meisterin geworden zu sein. Sie spielte mit ihm,
war ihm
weit überlegen. Plötzlich sprang sie ihn als Wölfin an,
verbiss sich in seiner
Kehle. Larine ließ sich fallen. Sein Atem stockte, wurde
abgeschnürt. ‚Denke,
denke! Es muss eine Form geben, sie abzuwehren!‘ Sein Geist arbeitete
nur noch
träge, er röchelte. Mit Händen und Beinen versuchte er
sie fort zu stoßen –
ohne Zauberkraft und ohne Erfolg. Unvermittelt gab er auf. Sein
Körper
erschlaffte unter dem Biss der kräftigen Wölfin. “Warum
setzt du dich nicht zur Wehr?”, hörte er seinen jüngeren
Bruder rufen. Ein
fremder Klang verzerrte seine Stimme, doch Larine bemerkte dies nur am
Rande. ‚Weil
ich nicht gegen sie kämpfen will‘, schrie er in Gedanken. Er
hätte sich nie
darauf einlassen sollen! Was kümmerte es ihn, ob man ihn als
Feigling verspottete? Ihr
Biss lockerte sich ein wenig. Larine sog keuchend Luft in seine Lungen.
Auch
die Wölfin hatte rotes Haar. Er hob eine Hand und fasste in den
Nacken des
Tieres. Die Zähne verstärkten ihren Druck wachsam. Larine
streichelte über das
zottelige Fell. Abrupt ließ sie von ihm ab und sprang einen Satz
zurück. Seine
Augen folgten ihr und er beobachtete, wie Moriane ihre menschliche
Gestalt
wieder annahm. Vorsichtig stand sie neben ihm, verharrte in ihren
Bewegungen.
Fassungslos hob sie erneut eine Braue. Larine mühte sich zu
sprechen,
doch seine
Stimme klang gebrochen. “Meine
Morrigu.” Ein gequältes Lächeln trat auf seine Lippen. Zögernd
kniete sie sich neben ihn. “Du hast es nicht vergessen?” “Wie
könnte ich?” Wieder hob er die Hand, streckte sie ihr entgegen.
Sie beugte sich
tiefer und er fasste in ihr wundervoll weiches Haar. “Du
wirst nicht sterben!”, rief sie. “Den Biss überlebst du mit
Leichtigkeit!”
Behutsam bettete sie seinen Kopf auf ihren Schoß. Ein
unerwartetes Glück.
“Bringt mir Verbandszeug!” Ihre
Begleiter brachten Binden und Eremon half, die Wunden zu versorgen. “Sieht
nicht so schlimm aus. Ein paar Tage und du bist wieder auf den Beinen.”
Eremon
grinste schief. “Glaub mir, mittlerweile verstehe sogar ich ein wenig
von der
Heilkunst.” Larines
Bruder wirkte blass und angespannt. Das tat er, seit der Ältere
ihm vor dem
Kampf das Testament überreicht und von seinem Tod gesprochen
hatte. Es war
Larine wichtig, dass der zugegebenermaßen nur geringe Besitz der
Familie sicher
an seinen Bruder überging. “Warum
hasst du mich so sehr?” Moriane
zuckte bei Larines Frage zusammen. “Ich ... ich hasse dich nicht. – Du
hast
mich verletzt.” “Wann?
Ich erinnere mich nicht.” Ihm war gleichgültig, dass man ihm
zuhörte. Nur
Morianes Nähe bedeutete etwas. “An
meinem Geburtstag, damals.” Sie schwieg einen Augenblick. Er
streichelte ihre
Wange und sie ließ es geschehen. “Danach
habe ich mich immer gesehnt”, flüsterte er. “Dich zu
berühren. All die Jahre. –
Womit habe ich dich verletzt?” Die
Wut kehrte in ihre Augen zurück und sie funkelte ihn zornig an.
“Du bist mit
Elaine gegangen! Ich liebte dich und du hast sie ausgerechnet an meinem
Geburtstag gewählt! Diese Erniedrigung werde ich nie vergessen!” Verwirrt
biss er auf seine Unterlippe. “Ich brachte sie doch nur nach Hause.
Danach
kehrte ich auf dein Fest zurück, suchte nach dir, aber du warst
bereits
gegangen. Das überraschte mich." Der
Bruder trat neben sie, hielt Larine einen Kelch an die Lippen. “Trink,
das wird
den Schmerz lindern.” Das
Schlucken fiel dem Verwundeten sehr schwer, trieb ihm Schweiß auf
die Stirn und
doch leerte er den halben Kelch. Der Bruder stellte das
Gefäß ab, ging zu den
Männern, um beim Bau einer notdürftigen Trage zu helfen. „Es
überraschte dich?“ Morianes Stimme klang scharf. „Du selbst
schicktest deinen
geliebten kleinen Bruder, um mich nach Hause zu begleiten.“ Voller Hass
starrte
sie auf den Jüngeren, der sich schnell abwandte. „Ich
verstehe nicht“, flüsterte Larine. „Tu
doch nicht so!“, fuhr sie ihn an. Einen Moment glaubte er, sie
würde ihn erneut
anspringen und ihm die Kehle vollständig zerfleischen. Stattdessen
griff sie
nach dem Kelch und trank. „Vor meinem Elternhaus riss er mir das
Kopftuch von
den Haaren und presste mir einen Kuss auf die Lippen.“ Larine
war übel. Konnte das wahr sein? Ihm hatte man die Geschichte ganz
anders
erzählt. Warum jedoch sollte Moriane lügen? „Natürlich
wurden wir gesehen und
danach lösten deine Eltern sehr schnell unsere Verlobung. - Mit
deinem
Einverständnis.“ Sie spuckte aus. Der
Trank machte Larine unglaublich schläfrig, sonst wäre er
trotz der Schmerzen
aufgesprungen und hätte seinen Bruder niedergeschlagen. Dieser
hatte damals
überall erzählt, Moriane hätte sich ihm an den Hals
geworfen, weil er, der
Ältere, ihr zu langweilig war. Larine hatte das akzeptiert. Liebe
konnte man
nicht erzwingen. „Du
wolltest nicht mit mir reden.“ „Wozu?
Nach dieser Schande blieb mir nur der Weg zu den Magiern.“ „Meine
Tür stand dir jederzeit offen. Ich habe auf dich gewartet, all die
Jahre.“ Zögernd
nickte sie. „Die Bahre ist gleich fertig. Wir bringen dich zurück
zum Palast.
Dort wirst du wieder gesund. Und dann, dann beginnen wir von vorne.“ Larine
fühlte sich so leicht. Gemeinsam könnten sie den Abgrund
überwinden, irgendwann
eine Familie gründen, Kinder bekommen und alt werden. Das war jede
Verletzung
wert. Sie hatten bereits so viel Zeit verschwendet. Nur mühsam
hielt er die
Augen offen und flüsterte: “Weißt
du, meine Morrigu, mir träumte, ich würde heute sterben. Ich
nahm an, du
würdest mich töten. Scheinbar sind meine Visionen nicht mehr
so zuverlässig wie
früher. – Das erleichtert mich.” Ängstlich
weiteten sich ihre Augen. “Deine Träume treten immer ein!” Sie
starrte auf
Larines Bruder, auf den Kelch, auf den Verwundeten. “Zornige
Götter, was haben
wir getan! Er ist dein einziger Verwandter, dein Erbe!” Larines
Geist begann sich zu umnebeln. Er vermochte ihren Gedankengängen
nicht mehr zu
folgen. Gerade als sie zusammenbrach und neben ihm zum Liegen kam,
endete sein
letzter Atemzug. © Karin Sittenauer |