Religionen, Sagen, Mythen - wie auch immer man diese unsichtbare Ebene des Lebens bezeichnen will - beeinflussen sich gegenseitig. So ähnelt die Glaubenswelt der Wikinger sehr stark der der Germanen und in gewissem Maße auch der Kelten. Allerdings hat sich der alte Glaube in Skandinavien länger gehalten als im übrigen Nordwesteuropa. Während Großbritannien bereits vor 700 n. Chr. christianisiert wurde, war Skandinavien zu Beginn des 9. Jahrhunderts eine der letzten Bastionen des alten Glaubens, was es stellenweise bis 1100 n. Chr. blieb. Im Gegensatz zu den Kelten haben die Wikinger zuweilen Gedichte und Lieder mit Runen auf Steine und Hölzer geritzt. Dies stellte aber die Ausnahme dar. Auch die Skalden (professionelle Hofdichter) haben ihr Wissen mündlich weitergegeben. Ebenso wie die keltischen Druiden benutzten sie dafür eine sehr komplexe, schwer verständliche Sprache mit kunstvollen Reimen, Rhythmen und Alliterationen. Die Sätze wurden miteinander verschränkt, es wurde ein besonderer Wortschatz verwendet, der weit von der Alltagsrede entfernt war. Die Dichter spielten oft auf Abenteuer oder Eigenschaften der Götter an, die von den Hörern erkannt werden mussten. Diese Gedichte zu verstehen war schwer, sie zu verfassen noch schwerer. Ein Hofdichter brauchte eine Menge Übung und ein beträchtliches erinnertes Wissen, genauso wie das Publikum. Mit der Ankunft des Christentums übernahmen die Skandinavier den Gebrauch der lateinischen Schrift und begannen bald, Texte aufzuschreiben. Die ältesten erhaltenen Niederschriften stammen aus dem 12. Jahrhundert, also nach dem Ende der Wikingerzeit. Für Ari Thorgilssons (1067 - 1148) Isländerbuch, für die "Königssagas" und die "Isländersagas" (beides 13. Jhd.) wurden die alten Skaldendichtungen verwandt. Der für die Dichter wohl wichtigste Mythos war der vom Skaldenmet, jenem Trank, der die Inspiration zum Schaffen großer Dichtung in sich birgt: Die Zwerge Fjalar und Galar töteten den Riesen Kvasir und mischten aus seinem Blut und Honig einen Met. Später kam der Trank in den Besitz des Riesen Suttung. Odin wollte den Met an sich bringen und stahl ihn von Suttung. In Gestalt eines Adlers flog Odin nach Asgard und spie dort den Met in Gefäße. Seitdem liegt es in Odins Macht, den Dichtermet an jene zu verteilen, die er begünstigen will.
Skandinavische Runen - Futhark Das skandinavische Runenalphabet besitzt seine eigene Buchstabenfolge; sein Name "futhark" ist aus den ersten sechs Zeichen gebildet. In der Wikingerzeit gab es zwei Hauptvarianten, doch sie wurden bisweilen auch vermischt. Weil sie zum Ritzen in Holz oder Stein gedacht waren bestehen Runen gewöhnlich aus geraden Linien. Kurzzweig-Runen sind einfacher als Langzweig-Runen, könnten also für weniger förmliche Inschriften entwickelt worden sein. In den frühen Futharks gab es nicht genügend Zeichen, um jeden Laut einer Sprache zu repräsentieren, und sie waren ungleichmäßig verteilt. So existierten beispielsweise keine Zeichen für die häufigen Vokale o und e, obwohl es zwei Varianten für a gab. Bei den Konsonanten hatte man keine speziellen Zeichen für d, g und p - statt dessen benutzte man t, k und b. Die runische Schreibweise war daher unpräzise, auch die Rechtschreibung war nicht konsistent. Verschiedene Runenmeister gaben ein Wort auf unterschiedliche Art wieder, so dass Runeninschriften oft schwer zu deuten sind. Zusätzlich stand jede Rune neben ihrem Lautwert auch noch für ein ganzes Wort. Die feh-Rune stand z.B. für Besitz, Reichtum und Vieh. Das erschwert das Lesen noch zusätzlich, weil man erst erkennen muss, ob die Rune für einen Laut oder ein Wort steht. Gegen Ende der Wikingerzeit schuf man neue Runen, um die Lücken im Zeichensystem zu schließen. Die beiden Runenreihen wurden während der gesamten Wikingerzeit benutzt. Als das Christentum sich in der skandinavischen Welt ausbreitete, wurden sie jedoch allmählich von der lateinischen Schrift abgelöst. Sinngemäß
aus: Bildatlas der Weltkulturen, Die Wikinger, Bechtermünz Verlag,
1997
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