Treferik Drachenherz

von Karin Sittenauer
 



Kapitel IV

Das Pferd drängte vorwärts, als Tref es aus dem Stall führte. Ein lichter Silberstreif zierte den Horizont und die wenigen Wolken darüber begannen in einem zarten Violett zu leuchten. Nichts im Dorf rührte sich, keine Stimme von Mensch oder Tier, von Jung oder Alt war zu vernehmen. Tref hielt den Atem an, schlich sich voran und Aisa folgte ihm. Ein Hund entdeckte sie und hob an zu bellen. 

Das Pferd schrak zurück und ließ ein Wiehern hören. Sofort legte ihm Tref die Hand auf die Nüstern und eilte weiter. Der Hund wollte nicht verstummen und Tref begann zu laufen. Kurz darauf hatte er den Wald erreicht, bahnte sich einen Weg durch das Gestrüpp und blieb dann stehen. Aisa erschien neben ihm und nun sahen sie einen Mann, der zu dem Hund ging, sich umblickte und auf den Waldrand starrte.

„Werden sie uns jetzt suchen?“, fragte Aisa leise.

„Ich hoffe nicht. Der Hund kann ebenso gut einen Fuchs verbellen. Ich glaube kaum, dass jemand gerade uns hier erwartet. Es ist ohnehin unwahrscheinlich, dass diese Leute hier wissen, dass wir zwei gesucht werden.“

Seine Stimme klang ruhig und vermochte Aisa die Angst zu nehmen. Er fasste nach ihrer Hand und hielt sie fest. Seine Hand war eiskalt; er war ebenso erschrocken, wie sie selbst. Schnell wandten sie sich um und gelangten tiefer in den Wald. Die Bäume wurden höher und von ihrem tiefen Schatten wurden Sträucher und Farne zurückgedrängt. 

Aisa und Tref ritten schweigend dahin, freuten sich über die gegenseitige Nähe und wachsende Vertrautheit. Es war bereits Mittag, als sie einen schmalen Bach erreichten, an dessen Wasseroberfläche sich die Sonnenstrahlen brachen. Aisa sank erschöpft in das weiche Moos und jammerte:

„Mir tut jeder Knochen weh. Ich bin es nicht gewöhnt, zu reiten.“

Tref setzte sich neben sie. „Aber mir tut nichts weh.“ Er zog sich die Stiefel aus und ließ die Füße ins Wasser hängen. „Es ist eiskalt!“, lachte er und legte sich neben Aisa. „Es ist nicht mehr weit bis zu der Hütte. Dann schmerzen bald unsere Knochen vom Aufräumen, Saubermachen und Reparieren. Du wirst dir wünschen, hinter mir auf dem Pferd sitzen zu können und nichts tun zu müssen als dich ein wenig fest zu halten.“

Sie blickte nach oben, beobachtete die Blätter wie sie sich im Winde wiegten. „Es ist schön, wenn die Sonne durch die Blätter scheint.“

Er beugte sich über ihr Gesicht und antwortete: „Es ist schön, wie es sich in deinen Augen spiegelt.“

Ihr Blick kehrte aus der Ferne zurück und blieb an ihm hängen. Seine Wimpern waren lang und dunkelbraun, obwohl sein Haar beinahe weißblond war. Sie fuhr mit der Hand durch sein dichtes Haar; er hatte das Lederband verloren, mit dem er es für gewöhnlich zusammenband. Jetzt hingen die Locken widerspenstig über seine Schultern. 

„Ich glaube nicht, dass uns hier jemand finden wird... .“

„Das glaube ich auch nicht“, erwiderte sie zärtlich.

Tref beugte sich zu ihr herab und küsste sie. Ganz vorsichtig und behutsam zogen sie sich gegenseitig aus, als hätten sie Angst, einander zu verletzen. Und sie liebten sich zärtlich und lange, wollten durch die sachte Gemeinsamkeit die zwischen ihnen entstandene Fremdheit aus ihren Herzen vertreiben. 

Später dann sprach der junge Mann verlegen: „Wenn du schwanger werden würdest, ich meine, wenn man es dir ansehen würde, könnte selbst mein Vater nichts mehr gegen diese Ehe unternehmen. Ich denke nicht, dass er dich dann noch einsperren oder töten lassen würde.“

Erschrocken setzte sich Aisa auf. „Ich weiß nicht, ob ich es kann!“

Ratlos starrte Tref sie an. „Was sollst du nicht können?“, fragte er.

„Nun, schwanger werden.“ Ihr Gesicht lief rot an und sie schwitzte mit einem Mal. „Ich ... ich war es einmal, vor einem halben Jahr. Ich ... habe das Kind vertreiben lassen und seitdem bin ich nie mehr schwanger geworden. Die anderen Frauen haben gesagt, es kann vorkommen, dass man nach den Tränken und den rätselhaften magischen Formeln keine Kinder mehr empfängt, wenn es nicht richtig gemacht wurde. Und ich habe gemerkt, wie schnell es bei anderen geht. Ich glaube, ich kann keine Kinder haben.“

Tref zog sie wieder zu sich. „Dann müssen wir eben darauf achten, dass uns mein Vater nicht findet.“
 


Gegen Abend erreichten sie die einsame Hütte im Wald. Sie glitten vom Pferd und traten vorsichtig näher. Kletterpflanzen schlangen sich bis aufs Dach und die Türe war hinter Sträuchern verborgen. Neben dem Haus aber blühte ein wilder Rosenbusch mit unzählig vielen sanften, rosigen Blüten.

„Du siehst, hierher kommt wirklich nie jemand. Keiner wird uns hier suchen“, sprach Tref beruhigt. 

Irgendwie hatte er ständig befürchtet, es wäre doch jemand gekommen und hätte das Haus vor ihnen in Besitz genommen. 

„Ja, und wir kommen auch nicht hinein.“ 

Aisa begann lachend die Sträucher vor dem Eingang wegzubrechen und Tref half ihr sofort. Als sie es geschafft hatten, öffneten sie die Türe und traten ein. Es war finster in der Hütte und roch nach Staub. Tref entzündete einen Holzspan, sodass sie sich umsehen konnten. Spinnweben hingen von der Decke und auf dem Boden entdeckten sie den Kot von Mäusen. 

„Das Haus ist trocken und wir können hinter uns die Türe abschließen. Das ist doch immerhin etwas ...“, sprach Tref zweifelnd. 

Hatte Aisa sich mehr erwartet? Vorsichtig musterte er sie von der Seite und sah ihre Augen glitzern.

„Es ist wunderschön! Ein richtiges verwunschenes Hexenhäuschen!“ 

Sofort griff sie nach einem Besen, der noch in leidlich gutem Zustand war und machte sich ans Fegen. Danach entfernten sie Spinnweben, verarbeiteten zu Brennholz, was nicht mehr zu reparieren war. Die beiden arbeiteten bis spät in die Nacht und es machte ihnen Spaß, ihr gemeinsames Heim wohnlich zu gestalten. Als erstes Bett musste die Pferdedecke genügen, auf die sie Trefs Mantel legten. Darauf kuschelten sie sich zusammen und der junge Mann erzählte:

„Die Frau, die hier wohnte, hielten die Menschen der Gegend wirklich für eine Hexe. Ich natürlich auch. Als Elfjähriger schlich ich mich mehrmals an und beobachtete sie, immer darauf bedacht, dass sie mich nicht entdeckte. Sie hatte allerdings eine Katze und diese starrte mich an, kaum dass ich in die Nähe kam. Das kleine, kugelrunde Tier hatte gelbe Augen, mit winzigen braunen Pünktchen. Du siehst, wie nah sie mir gekommen ist, dass ich selbst diese zählen konnte. 
Die Frau ließ sich nie anmerken, dass sie wusste, wenn ich hier war. Einmal jedoch, es war ziemlich kalt, kam sie mit einer dampfenden Tasse Tee heraus und stellte sie mir vor die Füße. Ich kauerte mich hinter den Busch und gab keinen Mucks von mir und sie lächelte nur. Ich war durchaus nicht feige und wollte endlich wissen, ob sie eine Hexe ist. Kaum dass sie im Haus verschwunden war, trank ich den Tee und wartete ab. Sollte ich Krämpfe bekommen, so wäre sie eine Hexe, da war ich mir sicher. 
Es geschah nichts, stundenlang saß ich dort und wartete. Dann aber kroch ich aus meinem Versteck und ging in die Hütte. Meine Knie zitterten und meine Hände nicht weniger. Die Tasse streckte ich ihr entgegen und fragte: ‚Kann ich noch etwas haben?‘ - Das war der Beginn einer Freundschaft, von der niemand etwas wissen durfte.“

„Warst du oft hier?“

„Ja, ziemlich. Ich habe meine Mutter nie gekannt und irgendwie ersetzte Kathrina mir diese. Wir lachten viel zusammen. Nein, eigentlich lachte sie über mich. Ich hatte viel Streit mit meinem Vater und noch mehr Probleme mit Mädchen. Ich war eben unerträglich in dem Alter. Ihre Art, alles klarer und einfacher zu sehen, war mir eine große Hilfe. Kathrinas Tod war ein beträchtlicher Schock für mich.“

„Wann ist das geschehen?“

„Vor vier Jahren fand ich sie. Sie saß in ihrem Schaukelstuhl, ein verzaubertes Lächeln auf den Lippen, und rührte sich nicht mehr. Ganz alleine war sie in die andere Welt hinübergeglitten. Obwohl, sie erklärte mir immer, dass diesen Weg niemand alleine gehen müsste, sondern abgeholt würde, wenn es an der Zeit ist.
Ich begrub sie und pflanzte die Rose, die neben dem Haus blüht, auf ihr Grab. Auf dem Tisch da drüben fand ich einen Brief, in dem sie mir die Hütte vermachte und alles was darin enthalten ist. Seitdem kam ich nie mehr hierher. Im Grunde genommen gehört mir dieses Haus und deshalb wollte ich mit dir zurückkehren.“

„Dein Tod war für mich auch ein beträchtlicher Schock“, flüsterte Aisa.

Er zog sie näher an sich und lachte. „So schlimm kann er nicht gewesen sein, immerhin habe ich ihn überlebt.“
 


Aisa bahnte sich einen Weg durch die Sträucher. Tref und sie hatten die letzten Monate viel gearbeitet. Unter anderem hatten sie aus Ästen und Zweigen ein Gehege rund um das Haus errichtet, das mittlerweile von Kletterpflanzen überwuchert wurde. So waren sie mehr denn je von unliebsamen Blicken geschützt und zugleich war eine umzäunte Weide für das Pferd entstanden.

Für einen Moment war Aisa schwarz vor Augen und sie musste sich setzen. Es war ihr jetzt so oft übel und ihre Tage ließen auf sich warten. Ihr Herz schlug jedes Mal schneller, wenn sie sich klar machte, dass sie vermutlich ein Kind erwartete. Vier Monate war sie nun verheiratet und jetzt sollte sie wirklich schwanger sein. Tref würde sich freuen, wenn sie es ihm sagte, trotzdem wollte sie noch warten. Sie musste sich erst völlig sicher sein. 

Das Schwindelgefühl ließ nach und die junge Frau setzte ihren Weg fort. Sie war in der Stadt gewesen und hatte Brot gekauft. Wenngleich Tref und sie beinahe alle Lebensmittel selbst anbauten oder jagten, Getreide hatten sie nicht und auch keinen Backofen. Aisa lächelte leicht. Wenn der Graf wüsste, wie nahe sie ihm waren! Tref nahm an, dass sie überall im Land gesucht wurden, nur nicht wenige Meilen von der Stadt entfernt. 

Jetzt lag die Hütte vor ihr und sie erstarrte. Zwei Bewaffnete standen vor der Türe und bewachten diese. Tref war dort drinnen! Aisa spürte ihre Angst kaum, rannte näher und hörte Trefs Stimme. Der tiefe Bass eines weiteren Mannes war ebenso zu vernehmen. Die beiden stritten in der Hütte und hätte sie sich Mühe gegeben, hätte sie auch verstanden, warum.

Die beiden bewaffneten Männer grinsten sie an und in ihr stieg die Wut hoch. 

„Was wollt ihr hier?“, fragte sie laut und die Männer zuckten die Schultern. 

Ihre Pferde trampelten das Gemüse nieder und was nicht bereits zertreten war, verschwand in ihren Mäulern.

„Schafft eure Pferde aus meinem Salat!“, fuhr sie die Männer an und diese taten es tatsächlich. 

Dadurch wurde der Eingang zur Hütte frei und Aisa trat schnell ein. Einen Moment verstummten die Stimmen, dann aber hörte sie den geliebten Mann:

„Komm nur herein, Aisa.“ 

Er trat auf sie zu und zog sie in die dunkle Stube. Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an das dämmerige Licht und dann zuckte sie zurück. Der Graf stand vor ihr und musterte sie mit hochgezogenen Brauen. Er sprach kein Wort mehr, doch jetzt wusste die junge Frau ohnehin, aus welchem Grund sie gestritten hatten.

„Ich muss euch ja nicht vorstellen, ihr kennt euch ja bereits“, sprach Tref und in seiner Stimme klang ein gefährliches Grollen mit. 

Er hielt Aisa an der Hand und machte keine Anstalten, sie loszulassen. Es war ein Zeichen der Verbundenheit, das nicht nur ihr galt, sondern vor allem für den Vater bestimmt war. Dieser sprach denn auch unwillig:

„Ja, wir begegneten uns bereits.“ Wieder schwieg er einen Moment und dann fragte er: „Kommst du jetzt freiwillig mit oder muss ich meine Männer herein rufen?“

„Ich gehe nicht mit Euch, Vater, das habe ich bereits gesagt. Wollt Ihr mich als Gefangenen abführen? Dann nennt mir die Beschuldigung, wegen der ich festgenommen werden soll.“

„Du bist mein Sohn, das ist Grund genug dafür, dass du auf der Burg lebst!“

„Vater, Ihr vergesst, dass ich verheiratet bin. Ich lebe nirgendwo ohne meiner Frau!“ 

Trefs Stimme klang gefährlich ruhig. Sie kündete von Unheil und verriet, dass nur äußerste Selbstbeherrschung ihn zurückhielt.

„Ich vergesse es keinen Augenblick!“, schrie der Vater. Erschrocken fuhr Aisa zurück, doch Tref hielt sie fest und so verharrte sie neben ihm. „Die Ehe wird für ungültig erklärt und du wirst eine standesgemäße Braut zum Altar führen!“

Trefs Hand verkrampfte sich so sehr, dass sein Griff schmerzte. Seine Stimme jedoch blieb immer noch ruhig. 

„Vater, ich bin bereits verheiratet und Aisa trägt mein Kind unter der Brust. Ich liebe meine Frau und ich werde mich nicht von ihr trennen! - Ihr liebtet meine Mutter doch auch. Warum könnt Ihr mich dann nicht verstehen?“

Für einen Augenblick trafen seine und Aisas Augen sich und er lächelte wissend. Sie hatte es ihm nicht gesagt, doch trotzdem hatte er bemerkt, dass sie schwanger war. Sie waren sich so nah, dass sie nichts voreinander geheim halten konnten und wollten. Aisa erwiderte sein Lächeln und wenn es noch möglich gewesen wäre, hätte sie ihn mehr denn je geliebt. Dieser Moment währte nur kurz, denn des Grafen Stimme fuhr schneidend zwischen sie: 

„Meine Frau war die Tochter eines Fürsten. Deine Frau jedoch ist eine stadtbekannte Nutte! - Du bist mein Sohn und ich liebe dich. Wie konntest du mir so etwas antun?“

Tref schwieg und blickte dem Mann, der ihm gerade erklärt hatte, dass er ihn liebe, in die Augen. Wut und Schmerz, Hass und Liebe kämpften in ihm und er versuchte, nichts davon überhand nehmen zu lassen. Würden Wut und Hass zu stark werden, er könnte sich nicht mehr zurückhalten und würde seinen Vater verletzen. 

Den Schmerz und die unerschütterliche Liebe zu seinem Vater jedoch könnte er nicht ertragen, wenn er sich ihnen öffnen würde. Dann aber erhob er seine Stimme und sprach in einem Ton, den Aisa noch nicht gehört hatte. Sanft und drohend zugleich klangen seine Worte, zerschnitten die Luft, die zwischen den Männern dicht und undurchdringlich schien.

„Wenn Aisa eine Nutte war, dann deshalb, weil Ihr sie dazu gezwungen habt. Ihr habt ihren Körper verkauft und nicht nur an Fremde, sondern an meinen eigenen Bruder! Ihr wusstet, dass ich sie liebe und gerade deshalb wolltet Ihr sie verletzen. Damit habt Ihr aber nicht nur Aisa wehgetan, sondern auch mir, denn sie ist mir das Wichtigste im Leben.“ 

Er machte eine Pause, atmete tief durch und fuhr schließlich ganz ruhig fort: 

„Ihr seid mein Vater und ich liebe Euch. Wie konntet Ihr mir so etwas antun?“

Der Vater war bleich und zitterte. Er öffnete den Mund, als möchte er etwas sagen, doch dann brachte er nichts über die Lippen. In seinen Augen glitzerte es und Aisa begann zu ahnen, dass der Sohn ihm noch nie gesagt hatte, dass er ihn liebte. Jetzt war es der Graf, der mit seinen Gefühlen kämpfte und Aisa erinnerte sich gut an Sitair‘ Worte, als er ihr erzählt hatte, dass es für den Grafen nur Tref gab und immer nur ihn gegeben hatte. 

Wie sehr musste ihn Trefs Verschwinden getroffen haben? Jetzt begann Aisa das Ausmaß des Schmerzes zu erahnen und ihr wurde im selben Augenblick bewusst, dass Tref es von Anfang an gewusst hatte. Er hatte es in Kauf genommen und er hätte es auch in Kauf genommen, den Vater niemals wieder zu sehen, um sie zu schützen. Und dies obwohl das Band zwischen Vater und Sohn ewig halten würde und die Entfernung an ihren Herzen zerrte und sie zu zerreißen drohte.

Die beiden Männer verharrten in ihrer Starre, konnten nicht aufeinander zugehen und sich doch nicht trennen. Sie waren sich ebenbürtig. Aisa fühlte sich fehl am Platz, schritt zur Seite und ihre Finger lösten sich von Trefs, ohne dass er es auch nur bemerkte. Es war der Vater, der den ersten Schritt machte. Der strenge Fürst trat auf den jungen Mann zu und schloss ihn in die Arme, hielt ihn fest und murmelte Worte voller Gefühl. 

Aisa konnte sie nicht verstehen, doch sie ahnte, dass es um die Sorgen und den Kummer ging, die der Vater durchgemacht hatte. Zweimal hatte er seinen Sohn nun schon verloren und jedes Mal gefürchtet, ihn niemals wieder zu sehen. Irgendwann erwiderte Tref die Umarmung und dies war der Augenblick, als er ihm zu verzeihen begann.
 



„Wirst du zusammen mit deiner Frau mit mir kommen, um auf der Burg deiner Vorväter zu leben?“, fragte der Graf schließlich feierlich. 

Trefs Augen suchten in Aisas Gesicht nach einer Antwort, doch schließlich gab er sie selbst: 

„Ich kann das nicht alleine entscheiden, Vater. Würdet Ihr mich einen Augenblick mit meiner Frau alleine lassen, damit wir darüber reden und einen Entschluss treffen können?“

Der Graf nickte besonnen und wandte ihnen den Rücken zu. Er öffnete die Türe leise; sowohl aus seiner Miene wie aus seinen Bewegungen war der Zorn gewichen. Als er die Türe von Außen geschlossen hatte, fragte Tref:

„Was hältst du davon? Würdest du mit mir auf der Burg leben?“

Aisa zuckte die Achseln. „Ich würde mit dir überall leben, doch es wäre leichter, wenn du nicht ausgerechnet der Sohn des Grafen wärst und nicht gerade die Burg dein Zuhause wäre. - Wie hat dein Vater uns gefunden?“

„Er fand den Brief von Kathrina, in dem sie mir das Haus vermachte. Danach wusste er, wo wir uns befinden. Weißt du, wer als Sohn eines Grafen aufgewachsen ist, mit Besitz und Reichtum vertraut, wird nicht leicht zum Bettler. Es war nicht schwierig für meinen Vater sich auszurechnen, dass ich in meinem eigenen Haus leben würde, anstatt jemand anderen um Unterkunft zu bitten.“

Aisa nickte zögernd. Sie hob ihre Hände, ließ sie verzweifelt wieder sinken und erklärte daraufhin: 

„Ich kann nicht mit dir auf der Burg leben. Ich könnte es nicht ertragen, eine Gräfin genannt zu werden und Dienstboten zu befehligen. Ich bin nur die Tochter einer einfachen Frau. Es gibt Männer auf der Burg, die mich für körperliche Nähe bezahlten. Wenn sie mich ansehen würden sie daran denken und schließlich würden sie auch daran denken, wenn sie mit dir sprechen. Sie würden die Achtung vor dir verlieren. - Und da ist noch etwas: Ich möchte nicht am Tisch neben Sitair sitzen.“

Tref lächelte beschwichtigend und nahm sie in den Arm. 

„Was hältst du davon, wenn du neben mir sitzen wirst? - Welche unnötigen Sorgen du dir machst! Schon bevor wir heirateten, wusste ich, dass es andere Männer gab - viele. Allerdings denke ich doch wohl, dass du keinen von ihnen liebtest. Ich kann durchaus zwischen Liebe und Geschäft unterscheiden und die anderen können das ebenso. Es wird Leute geben, die dir deine Position neiden. Diese werden die Einzigen sein, die schlecht über uns reden. Um diese Menschen jedoch kümmere ich mich nicht, denn sie sind keine Freunde und auch keine Vertrauten. Es ist mir vollkommen gleichgültig, was Fremde von mir halten!“

Aisa glaubte ihm dies aufs Wort. Er hatte ein Selbstbewusstsein, wie es dies nur selten gab. Vermutlich lag es daran, dass er der Erbe des Grafen war und als solcher erzogen worden war. Sie schwieg und so fuhr er fort:

„Wir könnten hier bleiben, das weißt du. Wir wären jedoch nicht mehr wie bisher abgeschieden. Mein Vater weiß, wo wir leben und bald wird es jeder wissen. Es kämen Freunde und vermutlich würde uns auch mein Bruder besuchen. Sitair und ich verstanden uns immer sehr gut, ich wäre traurig, wenn er nicht käme. Wenn du ihn erst wirklich kennen gelernt hast, wirst du meine Meinung über ihn teilen. - Es kämen aber auch Menschen, die es nicht gut mit uns meinen, die dem Sohn des Grafen etwas antun möchten. Warum denkst du, lebt mein Vater hinter hohen Mauern, von einer Garde bewacht, die für ihn bis zum Tod kämpfen würde?“

Immer noch schwieg Aisa und Tref schlang seine Arme fester um sie, legte seine Hände auf ihren Bauch und sprach zärtlich:

„Es wäre mir eine schreckliche Vorstellung, wenn du unser Kind hier in dieser Hütte zur Welt bringen müsstest. Ich habe doch keine Ahnung, was zu machen ist und die Hebamme oder ein Heiler wären meilenweit entfernt. - Ich will dich nicht verlieren, Aisa. Dich nicht und auch nicht unsere Tochter.“

Sie blickte zu ihm auf und fragte: „Unsere Tochter? Woher willst du wissen, dass es ein Mädchen ist?“

Amüsiert grinste er und sprach mit gespielter Bitterkeit: „Sollte ich mir tatsächlich einen Sohn wünschen, der so wird wie ich? Den Ärger würde ich schwerlich überstehen!“

Jetzt musste Aisa wieder lachen, er schaffte es jedes Mal, dass sie alles nicht so ernst nahm. Trotzdem flüsterte sie: 

„Es wird schwer werden, auf der Burg.“

Lächelnd erwiderte er: „Das wird es, am Anfang. Jedoch bei weitem nicht so schlimm, wie hier, wo wir ganz auf uns alleine gestellt waren. Solange wir zusammenhalten, werden wir auch das überstehen.“

Aisa nickte und gemeinsam schritten sie zur Türe, um es dem Vater zu sagen.

Ende

 (c) Karin Sittenauer


 
 


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