Treferik
Drachenherz
von Karin
Sittenauer
Kapitel II
Das Minnehaus lag
an der Stadtmauer, nicht gerade im besten Viertel, aber immerhin wurde
den Bewohnerinnen der Schutz eines mächtigen Mauerringes gewährt.
Aisa stand davor und musterte das zweigeschossige, schmale Gebäude.
Es sah ordentlich und sauber aus. Ihr wurde bewusst, dass sie sich ein
solches Haus immer als schmuddelig und ärmlich vorgestellt hatte.
Das war es aber nicht.
Es unterschied sich
nicht von den Häusern daneben und wenn nicht ein paar Frauen aus den
Fenstern geblickt hätten, Aisa hätte es nicht erkannt. Jetzt
trat sie ein, der Mann, der sie auf Befehl des Grafen hergebracht hatte,
sprach eine Frau an. Er nannte sie „Wirtin“ und reichte ihr einen Brief,
den sie flüchtig durchlas.
Danach trat die Wirtin
vor Aisa und musterte sie eindringlich. Während sie das Mädchen
umkreiste, nahm sie ihr den Mantel ab und besah dann ihre Hände. Ihre
Brauen zogen sich zusammen, als sie die Brandblasen entdeckte. Dann griff
sie Aisa unters Kinn, hob ihren Kopf und verlangte:
„Mund auf!“
Aisas Gesicht lief
rot an, sie spürte das Blut in ihren Schläfen hämmern. „Ich
bin doch kein Esel“, fuhr sie die Frau an.
Diese betonte: „Du
benimmst dich aber wie einer, also mach den Mund auf und zeig deine Zähne.
Ich weiß, wie man bei einem Esel das Maul öffnet, falls er das
nicht freiwillig tut.“
Die Wirtin grinste,
offensichtlich meinte sie es nicht ernst, doch Aisa fühlte sich beleidigt.
Trotzdem öffnete sie den Mund und ließ die eingehende Begutachtung
ihres Gebisses über sich ergehen. Schließlich nickte die Frau
und ging zu dem Mann zurück. Erneut sprach sie leise mit ihm.
Die Frau war etwa vierzig
Jahre alt aber immer noch sehr schön. Ihre Kleidung war schlicht,
kein wertvoller Schmuck und keine teueren Stoffe zierten sie. Aisa erinnerte
sich, dass dies solchen Frauen verboten war. Das gelbe Tuch, das am Ärmel
der Frau festgenäht war, das Zeichen einer Dirne, bestand hingegen
aus feinstem Stoff, vermutlich Seide. Jetzt zählte die Wirtin dem
Mann Geld in die Hand und er verließ das Haus.
„Habt … habt Ihr ihm
etwa Geld für mich gegeben?“ Aisa konnte ihr Entsetzen nicht verbergen.
„Natürlich habe
ich das, Herzchen. Sonst hätte er dich schwerlich hier gelassen!“
Die Frau lachte amüsiert auf und trat auf Aisa zu. „Sag mal, wo hast
du dich bisher verkrochen? Du bist ja unschuldig wie ein Lamm.“
Aisa lief wieder rot
an, dann wurde die Wut jedoch stärker als ihr Schamgefühl und
sie erwiderte forsch: „Das bin ich wohl kaum.“
„Auch gut, sonst hättest
du nicht zu uns gepasst. Ich stelle dir die Mädchen vor.“
Nach einem energischen
Schlag auf eine golden glänzende Scheibe, die sich als außergewöhnlich
lauter Gong herausstellte, füllte sich die Stube. Sieben Mädchen
erschienen; keine älter als fünfundzwanzig Jahre, trotzdem war
Aisa die jüngste. Alle sahen sehr hübsch und ordentlich aus.
„Hübschlerinnen,
ja sicher, dies ist ein gängiger Name für Frauen dieses Gewerbes“,
dachte Aisa. Überhaupt gab es viele Namen und die wenigsten waren
abwertend. Man nannte sie wandelbare Fräulein oder schöne, heimliche,
liebe oder gute, falsche oder offenbare Fräulein. Noch ein Name fiel
Aisa ein: unfertige Fräulein.
„Nun, unfertig seht
ihr nicht aus“, sprach sie mit leicht spöttischem Unterton. „Warum
nur nennt man euch so?“
Acht Frauen lachten
und eine kleine, zierliche Frau mit roten Haaren antwortete:
„Vermutlich weil wir
nicht verheiratet sind. Scheinbar hält man uns Frauen erst für
fertig, wenn wir einen Ehering am Finger tragen. Erst dann dürfen
wir uns ja Frau nennen, anstatt Fräulein.“
Sie lachte immer noch
und ein fülliges Mädchen, kaum älter als Aisa, mit lockigem,
braunem Haar und rosigen Wangen, fügte hinzu:
„Ich denke, dass uns
so manche Ehefrau neidisch ist, dass wir keinen Ehemann haben müssen.
Zu uns kommen die hübschen Handwerksgesellen, die nicht heiraten dürfen,
während sie bei den alten Meistern sitzen!“
Aisa stimmte jetzt
mit ein. Hier war es anders, als auf der düsteren Burg. In diesem
Haus durfte gelacht werden und beinahe vergaß sie, wofür man
sie hergebracht hatte. Die Wirtin jedoch wandte sich schnell wieder an
sie und brachte sie auf den Boden der Tatsachen zurück:
„Von deinen Einnahmen
erhalte ich ein Drittel und auch dein Essen und Trinken rechnest du mit
mir ab. Dafür bekommst du ein Zimmer mit dichtem Dach über dem
Kopf und stehst unter dem Schutz der hiesigen Gesetze. Du weißt ja:
Wanderdirnen stehen außerhalb des Gesetzes. Jeder kann mit ihnen
machen, was er will und wird nicht zur Rechenschaft gezogen. Vielleicht
schätzt du bei der Vorstellung, was es bedeutet, hier in meinem Haus
aufgenommen zu werden. - Maghida zeigt dir dein Zimmer.“
Dabei zeigte sie auf
die Frau mit dem roten Haar und diese lächelte freundlich und winkte
Aisa, ihr zu folgen. Die beiden stiegen die schmale, hölzerne Treppe
empor und landeten in einem dunklen Gang, den lediglich ein winziges Fenster
an seinem Ende erleuchtete.
„Nachts zünden
wir hier Kerzen an, das sieht gemütlicher aus, doch jetzt am Tag sollen
wir sparen“, erklärte Maghida schnell.
Aisa nickte und hörte
hinter sich ein Kichern von einer anderen Frau:
„Eigentlich sollen
wir immer sparen, aber es würde unseren Verehrern nicht gefallen,
wenn sie sich im Dunkeln den Hals brechen. Außerdem“, so fuhr sie
lachend fort, „wäre es sicherlich sehr schwierig, so einen Unfall
dem Richter glaubhaft zu erklären.“
Wieder kicherte sie
und als Maghida eine Türe öffnete, strömte etwas Licht in
den Flur. Jetzt sah Aisa das Mädchen mit dem braunen Haar hinter sich.
Diese schob sie in den hellen Raum und lachte dann wieder:
„Momentan ist das hier
unsere Rumpelkammer, doch ich denke, wir werden sicherlich ein paar nützliche
Dinge für dich finden und den Rest schaffen wir auf den Dachboden.
- Ich heiße Luise. Es freut mich, dass du zu uns gehörst.“
Ein breites Lächeln
verschönte ihr Gesicht. Sie schien ein fröhlicher Mensch zu sein,
denn wieder begann sie zu kichern und stürzte sich auf das Gerümpel
vor ihnen. Tatsächlich zauberte sie einen intakten Kerzenständer
und einen mit Stoff bezogenen Stuhl hervor.
Aisa zögerte,
sie selbst freute sich durchaus nicht, jetzt im Minnehaus zu leben und
vor allem zu arbeiten. Schließlich ergab sie sich in ihr Schicksal
– es blieb ihr keine Wahl - und räumte mit Maghida und Luise das Zimmer.
Die Beschäftigung sorgte dafür, dass sie nicht ständig an
Liam denken musste und das Lachen und die Freundlichkeit der Frauen taten
ihr gut.
Es war so anders als
bei ihr zu Hause, wo stets geschwiegen worden war. Ihre Eltern redeten
selten miteinander, es sei denn, sie hatten Probleme zu besprechen oder
gemeinsam zu beten. Aisa hatte des Vaters aufgesetzt vielsagenden Blick
noch vor Augen, wenn er sie mit seinem Lieblingssatz zu Fleiß und
Anstand erziehen wollte. Ein unbestimmbares Kichern entrang sich ihrer
Kehle.
„Wisst ihr, was mein
Vater immer sagte? ‚Bei der Arbeits Lust vergiss des Müßiggangs
Frust.’ Das war beinahe sein einziger Satz. Und sein selbstverliebtes Gesicht
dabei!“
Sie lachte weiter und
die zwei Frauen stimmten ein. „Scheint beinahe als wollte er, dass du dir
im Bett dein Geld verdienst.“
Zum Schluss sah das
kleine Zimmer sehr gemütlich aus und Aisa war erstaunt darüber,
dass ihr jede der Mitbewohnerinnen mit einer Kleinigkeit aushalf. Sie brachten
ihr Kleider und Decken, einen kleinen Spiegel und eine Bürste und
viele Dinge mehr. Dies sollte ihr helfen, bis sie selbst Geld verdiente
und sich etwas kaufen könnte.
Bei dem Gedanken an
das Geldverdienen wurde Aisa beinahe übel. Sie spürte noch Sitair‘
Berührungen auf ihrem Körper und dachte zugleich an Liams Küsse.
Alles in ihr schien durcheinander geraten zu sein und nur das geschäftige
Treiben um sie herum und die Tatsache, dass sie keinen Moment zur Ruhe
kam, hielten sie auf den Beinen.
Auf dem Gang vor ihrer
Kammer hörte sie immer wieder Stimmen von Männern und Türen,
die geschlossen wurden und die folgenden Geräusche dämpften.
Panik ergriff sie, doch Luise nahm sie am Arm und sprach:
„Mir ist es genauso
gegangen. Ich bin mit vierzehn von meinem Freund hierher gebracht worden.
Freiwillig versteht sich. Allerdings hat er mich vorher so geprügelt,
dass ich zu allem Ja gesagt hätte, nur um nicht noch einmal geschlagen
zu werden. - Mit fremden Männern zu schlafen wird dir nur am Anfang
schwer fallen. Sie dürfen dir nicht wehtun, weißt du, wir halten
alle zusammen. Sollte eine von uns schreien, so stehen wir sofort alle
im Zimmer und Gnade dem Mann, der ihr etwas antun wollte. Das ist wirklich
ein großer Vorteil im Gegensatz zum Leben auf der Straße. Dort
wärst du alleine und niemand würde dir helfen.“
Aisa nickte zögernd,
doch Luise nahm sie an der Hand und zog sie nach Unten. Dabei flüsterte
sie ihr zu:
„Wir haben auch ein
paar Beschwörungen gelernt, die unliebsamen Freiern die Ruhr auf den
Leib bannen.“
Wieder kicherte sie
und zwei Grübchen zierten ihre runden Wangen. Auf der Treppe steckte
sie Aisa mit einer Nadel noch das gelbe Tuch an den Ärmel und diese
spürte, wie ihr das Blut zu Kopf stieg. Jetzt war sie gekennzeichnet,
als Hübschlerin gebrandmarkt. Jeder würde es wissen, wohin auch
immer sie ging. Aus der Stube klangen nicht nur die Stimmen von Frauen
herauf, sondern auch von Männern. Es wurde gelacht und gescherzt und
Aisa verhielt in ihren Bewegungen.
„Ich kann das nicht“,
flüsterte sie Luise und Maghida zu. Luise drückte ihre Hand stärker
und Maghida sprach mit ernster Stimme:
„Es ist nur deine Arbeit,
ohne Gefühl. Sieh‘s einfach so: Die Männer brauchen deine Nähe
und du brauchst ihr Geld. Das ist alles.“
Ihre Stimme klang trocken
und nüchtern. „Keine Gefühle“, dacht Aisa. Sollte dies möglich
sein? Kein Gefühl der Abneigung und des Grauens, wenn ein fremder
Mann einen berührte?
„Man gewöhnt sich
daran“, hauchte ihr Luise ins Ohr und gemeinsam betraten sie die Stube.
Unbekannte Augen starrten
sie an und Aisa straffte unwillkürlich ihre Schultern, hob den Kopf.
Sie würde sich nicht unterkriegen lassen! Und zugleich bemerkte sie,
dass gerade die Tatsache, dass sie diese Männer nicht kannte, es ihr
leichter erscheinen ließ. Diese Männer waren ihr fremd, was
sie von ihr dachten konnte ihr gleichgültig sein.
Überdies war der
einzige Mensch, dessen Meinung ihr wichtig war, tot. Und dieser dumpfe
Schmerz in ihrem Inneren machte sie zunehmend unempfindlicher anderen Gefühlen
gegenüber. Als ein Mann auf sie zuging und mit ihr die Treppe nach
oben stieg, empfand sie nichts als dieses zugeschnürte Herz. Sie wusste
nicht genau, was man von ihr erwartete, doch der Mann wusste es umso besser.
Es ging vorüber,
ohne dass ihre Seele oder ihr Leib einen ernsthaften Schaden erlitten hätten.
Sie fühlte sich ohnehin wie tot, was störte es dann noch, wenn
dieser Körper ohne ihr weiter lebte? Es vermochte sie nicht zu beruhigen,
als es elf Uhr nachts wurde und die Ausgangssperre in Kraft trat. Ebenso
kümmerte sie nicht, dass sie jetzt ein wenig Geld besaß. Nichts
war wichtig, nichts außer Liam und diesen würde sie nie wieder
sehen.
So gingen die ersten
Tage vorüber und aus diesen Tagen wurden Wochen. Aisa lernte die Frauen
immer besser kennen und sie wurde wieder fröhlicher. Liams Verlust
hatte einen tiefen Schmerz hinterlassen, doch dieser wurde langsam erträglicher
und letztendlich gewöhnte sie sich daran.
Zuerst hatte sie gedacht,
sie würde Geld sparen und irgendwann die Wirtin auszahlen, damit sie
gehen konnte, wohin sie wollte. Schließlich aber bemerkte sie, dass
ihr das Wenige, das sie verdiente, nicht einmal für das Nötigste
reichte. Ein Drittel musste sie an die Wirtin abführen und obwohl
sie nicht viel aß, verschlangen die Kosten für Essen und Trinken
ihre geringen Einkünfte.
Sie war nicht die Einzige,
der es so erging. Schnell erfuhr sie, dass beinahe alle Frauen bei der
Wirtin verschuldet waren und dass es auch keinen Ausweg aus dieser Situation
zu geben schien. Sie waren von ihr abhängig und mussten gehorchen.
Meist verbrachte Aisa
ihre freie Zeit mit Luise und Maghida, die ihr zu Freundinnen wurden. Diese
waren es auch, die ihr beistanden, als sie schwanger war und das Kind abtreiben
lassen musste. Irgendetwas in ihrem Inneren musste verloren gegangen sein,
denn es schmerzte sie nicht, das Kind zu verlieren. Im Gegenteil war sie
sogar erleichtert, denn sie hätte nicht gewusst, wohin sie damit hätte
gehen können. Sie verspürte auch keine Gefühle für
dieses Baby, von dessen Vater sie nur sagen konnte, dass er einer von unzähligen
Fremden gewesen war.
Es war eine stürmische,
kalte Nacht im Frühling, als plötzlich Maghida neben Aisas Bett
stand und sie schüttelte.
„Schnell, steh‘ auf“,
flüsterte ihr die junge Frau drängend ins Ohr.
Nur unwillig setzte
sich Aisa und rieb sich die Augen. „Warum denn?“
Eine laute Böe
fegte gegen den mit Leinen bespannten Fensterrahmen und versuchte, ihn
aus den Angeln zu heben. Der Lärm ebbte für einen Augenblick
ab und Maghida erklärte:
„Wir brauchen dich
unten - schnell, jetzt komm schon!“
Aisa schob die warmen
Decken zur Seite und fröstelte in ihrem dünnen Hemd. „Ich will
mich nur noch anziehen“, antwortete sie.
„Dazu haben wir keine
Zeit!“, trieb Maghida sie an.
Noch mit dem selben
Atemzug zog die junge Frau Aisa mit sich und diese hatte gerade noch Zeit,
nach ihrer Decke zu angeln und sie sich auf der Treppe um die Schultern
zu wickeln. Dann jedoch hätte sie gestutzt und wäre umgekehrt,
wenn nicht Maghida sie stürmisch nach unten gezogen hätte. Beinahe
verlor sie das Gleichgewicht und wurde, barfuß wie sie war, zu einer
Gruppe von Männern gezerrt.
„Was soll das?“ fragte
sie unwillig und fuhr dann erschrocken zusammen. An der dicken, eichenen
Eingangstüre hämmerte es energisch.
„Öffnet, im Name
des Gesetzes!“
Flüsternd befahl
die Wirtin: „Setzt euch jetzt endlich und tut, als würde euch die
Störung gar nicht kümmern!“
Aisa wurde zu einem
Mann geschoben, der sofort ihre Hände ergriff und sie neben sich auf
eine Bank zog. Maghida selbst ließ sich mit einer anmutig schlangengleichen
Bewegung neben einem anderen Mann nieder und dieser schlang die Arme um
sie. In der Tat schien es mit einem Mal, als wären die Besucher wirklich
hier, um nach körperlicher Nähe zu suchen. Trotzdem beschlich
Aisa die Gewissheit, dass dies nicht der wahre Grund war.
Die Wirtin öffnete
gelassen die Türe und Aisa konnte einen Blick auf einen großen,
bewaffneten Mann werfen, der mit seinem dicken Mantel die gesamte Breite
der Türe verdeckte. Hinter ihm ertönten mehrere Stimmen, er war
nicht alleine. Der Fremde, neben dem sie zum Sitzen gekommen war, schielte
ebenfalls in diese Richtung. Als der große Mann jedoch seinen Blick
durch die Stube schweifen ließ und daraufhin eintrat, zog er sie
näher an sich und küsste sie stürmisch.
Aisa blieb kaum Zeit,
sich zu wehren. Niemals ließ sie sich Küssen. Dieses kleine
Fünkchen Distanz bewahrte sie hartnäckig. Mit beiden Händen
stemmte sie sich gegen seine Schultern und versuchte ihn weg zu schieben.
Dies gelang nicht, doch immerhin nahm er seinen Mund von ihrem, schob ihn
näher zu ihrem Ohr und flüsterte:
„Halt dich still, ich
bitte dich! Oder willst du, dass wir alle verhaftet werden?“
Er hatte braune, sanfte
Augen, mit denen er sie nun musterte. Sie konnte seinen Atem auf ihrer
Haut spüren, so eng hielt er sie umschlungen.
„Das werden wir ohnehin“,
flüsterte sie zurück. „Nach elf Uhr nachts dürfen wir keine
Gäste empfangen.“
Er nickte und antwortete
beinahe unhörbar, mit einem schelmischen Grinsen: „Für ein Vergehen
dieser Art wird man jedoch nicht gehängt.“
In Aisa machte sich
das untrügliche Gefühl breit, dass sie in eine Sache verstrickt
wurde, von der sie lieber nichts gewusst hätte.
„Was zum Teufel macht
ihr hier?“, fragte sie denn auch. Anstatt einer Antwort schob er eine Hand
unter ihre Decke und umschlang ihre Taille.
„Du bist noch ganz
warm vom Schlafen“, flüsterte er. „Was ich hier mache? Ich halte dich
fest und wenn du es nur zulassen würdest, dann würde ich noch
viel mehr tun.“
„Das habe ich nicht
gemeint.“ Sie versteifte sich unter seinen Berührungen.
„Ich weiß, doch
für mehr ist jetzt nicht die Zeit und auch nicht der richtige Ort.“
Die Bewaffneten strömten
herein und der Raum schien mit einem Mal viel zu klein, obwohl es eine
große Stube war. Auf ihren Mänteln konnte Aisa das Wappen des
Grafen entdecken und es schnürte ihr die Kehle zu. Jedes Mal wenn
sie an den Graf dachte wurde ihr ein wenig übel und seine unbegrenzte
Macht jagte ihr Angst ein. Gerne hätte sie sich wieder in ihrem Bett
verkrochen und ganz still gehalten.
Der fremde Mann neben
ihr lehnte sich lässig zurück und blickte dem Anführer herausfordernd
ins Gesicht. Dabei hielt er Aisa fest und es störte sie plötzlich
nicht mehr. - Sie wollte nicht alleine sein.
„Du? - Das hätte
ich mir denken können!“, sprach der Hauptmann unwillig und musterte
den Mann finster.
Wieder grinste dieser
herausfordernd und erwiderte: „Kannst du mir das verdenken, Bruder? Bei
dem hübschen Mädchen?“ Mit einer kraftvollen Bewegung zog er
Aisa noch ein wenig näher.
Der Hauptmann atmete
tief ein und fuhr dann fort: „Auch wenn du mein Bruder bist, um diese Uhrzeit
hast du hier nichts zu suchen.“
Der Fremde seufzte
scheinbar resigniert und ließ Aisa los. „Sei kein Spielverderber.
Wir wollten doch nur etwas Spaß haben.“
„Geht jetzt nach Hause,
alle!“, befahl der Hauptmann streng.
Scheinbar hatte er
nicht vor, irgendjemand festzunehmen. Alle Männer standen auf und
auch die Frauen. Auf einen Wink des Hauptmanns verschwanden die Soldaten
in der Nacht. Er selbst jedoch blieb und nahm sich die Wirtin vor. Aisa
hörte nur, dass er ihr androhte, sie aus der Stadt jagen zu lassen,
falls sie noch einmal gegen die Gesetze verstoßen wollte. Der fremde
Mann ergriff Aisas Hand, beugte sich darüber und hauchte einen Kuss
darauf. Dann blickte er ihr in die Augen und sprach leise:
„Vielen Dank, schöne
Frau, du hast mir eben das Leben gerettet.“
Damit wandte er sich
um und verschwand in der Dunkelheit.
Aisa wollte wissen,
was vorgegangen war, doch niemand gab ihr Antwort. Alle wichen ihren Fragen
aus und dies bestärkte sie noch mehr in der Annahme, dass sie letzte
Nacht wirklich in Gefahr gewesen, vielleicht sogar einer Hinrichtung entgangen
waren. So war sie den ganzen Tag nervös und starrte auf die Türe,
jedes Mal wenn sie von Außen geöffnet wurde. Sollten die Soldaten
zurückkehren?
Mittag schrak sie zusammen,
als sie den Mann erkannte, der eingetrat. Es war der Fremde vom Vortag
und er hielt genau auf sie zu. Grüßend nickte er der Wirtin
zu und Aisa ahnte, dass die beiden sich gut kannten und oft sahen. Vor
Aisa blieb er stehen und fragte:
„Können wir in
dein Zimmer gehen?“
Sie schüttelte
den Kopf. Gerade mit ihm wollte sie nicht alleine sein. Die Wirtin jedoch
stand sofort neben ihr und fuhr sie an:
„Geh‘ schon, oder wirst
du plötzlich wählerisch?“
Ihre Miene war drohend
und wieder einmal dachte Aisa an ihre Schulden und gehorchte. Widerwillig
stand sie auf und ging voran. Der Mann folgte ihr schweigend. Als sie den
Gang passiert hatten und in ihrem Zimmer angelangt waren, lächelte
er:
„Finster habt ihr es
hier. Müsst ihr etwa Kerzen sparen?“
Aisa nickte. „Ja, sicherlich
müssen wir das. In diesem Gewerbe verdient man nicht gerade gut.“
„Du hast mich nur mit
auf dein Zimmer genommen, weil du bei der Wirtin verschuldet bist.“ Er
setzte sich auf den einzigen Stuhl im Zimmer und machte zum Glück
keine Anstalten, Aisa anzufassen.
„Woher weißt
du das?“, fragte sie misstrauisch.
Er lachte. „Das ist
nicht schwer. Alle Mädchen sind bei ihr verschuldet. Ich bin Kaufmann
und weiß, wie man Menschen von sich abhängig macht.“
Er war ein Kaufmann
und sicherlich kein armer. Seine Kleidung zeugte von Wohlstand und nun
kramte er in seinen Taschen und zog ein paar Geldstücke heraus.
„Ich wollte dir nochmals
für Gestern danken. Wie ich bereits sagte, hast du mir das Leben gerettet
und nicht nur mir. Hätte jemand Verdacht geschöpft, so wären
wir alle im Kerker gelandet. - Wie viel schuldest du der Wirtin?“
Er wollte nur reden.
Aisa war merklich erleichtert. Sie setzte sich auf das Bett und stellte
ihm eine Gegenfrage:
„Warum wärt ihr
getötet worden und welchen Verdacht hätte jemand schöpfen
sollen?“
Wieder lachte er, dann
stand er auf, trat zu ihr und ergriff ihre Hände.
„Die anderen haben
dir nichts gesagt, nicht wahr? Sie denken, du sollst hier für den
Graf spionieren, denn du bist die Einzige, die durch ihn hierher gebracht
wurde. Gestern holten sie dich nur, damit ich nicht alleine in der Stube
sitze. Ein solcher Engel bin ich wirklich nicht, als dass mir jemand geglaubt
hätte, ich ginge ins Minnehaus, um den anderen zuzusehen. - Ich jedoch
werde es dir sagen. Wir trafen uns hier, weil wir vereinbarten, wie wir
den Graf stürzen können. Wir wollen nicht länger unter seiner
Herrschaft leben.“
Aisa schrak zurück
und entriss ihm die Hände. „Den Graf stürzen?“, flüsterte
sie. Selbst die Wände schienen Ohren zu haben, denn sie wagte nicht,
das Ungeheuerliche laut auszusprechen.
„In zwei Stunden werde
ich an der östlichen Straße Stellung beziehen. Er begutachtet
heute seine Länder und wird auf diesem Weg in die Stadt zurückkehren.
Ich werde hinter einem Baum verborgen stehen und ihn mit einem Pfeil genau
ins Herz treffen. Danach sind wir ihn für immer los.“
„Und dann, wie soll
es danach weiter gehen? Er hat zwei Söhne. Denkst du wirklich, es
wird sich etwas ändern, wenn nur der Herrscher ausgetauscht wird?“
Schmunzelnd setzte
er sich neben sie auf das Bett. „Es macht dir nichts aus, wenn ich es tue?“
„Warum sollte es mir
etwas ausmachen?“, fragte sie. In der Tat würde sie um den Grafen
nicht trauern. Es erschreckte sie lediglich, wie sein Ende geplant wurde
und dass sie davon erfahren hatte. „Ich habe wirklich keinen Grund, ihn
gerne zu haben.“
„Das habe ich mir schon
gedacht. - Wenn der Graf erst tot ist, wird sein ältester Sohn Treferik
die Macht übernehmen. Wir alle denken, dass er ein guter Herr werden
und viele Missstände abschaffen wird. - Jetzt sag mir, was du der
Wirtin schuldest, denn ich will dir das Geld geben. Vielleicht überlebe
ich den heutigen Tag nicht, da will ich doch wenigstens eine gute Tat in
meinem Leben vollbracht haben.“
„Sechs Gulden“, murmelte
sie, obwohl sie eigentlich kein Geld nehmen wollte. Doch er legte ihr die
Münzen bereits in die Handfläche und Schloss ihre Finger darum.
„Bezahle sie noch heute“,
fuhr er fort. „Ich gab dir etwas mehr, als du benötigst, so kannst
du dir überlegen, ob du dieses Haus verlassen willst.“ Er beugte sich
vor und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Wünsche mir Glück“,
bat er mit einem gefährlichen Glitzern in den Augen. Er stand auf
und wartete.
Aisa blickte zu ihm
hoch und sprach dann: „Viel Glück. Pass‘ auf dich auf.“
Mit einem Nicken wandte
er sich um. Als er bereits in der Türe stand, fragte Aisa ihn noch
etwas: „Warum vertraust du mir und erzählst mir das alles?“
Er lächelte ahnungsvoll
und antwortete: „Ich sah dich einmal mit deinem Freund, vor einem Jahr,
kurz bevor du hier ankamst. Vermutlich bin ich der Einzige, der weiß,
warum du wirklich ins Minnehaus gebracht wurdest.“
Noch ehe Aisa weitere
Fragen stellen konnte, verschwand er durch die Türe und ließ
sie alleine zurück.
Es wurde ein langer
Tag, in dem sie wartete. Die Nachricht von des Grafen Tod hätte sich
in der Stadt wie ein Lauffeuer verbreitet. Nichts jedoch geschah. Aisa
zahlte ihre Schulden und packte die wenigen Habseligkeiten. Wohin sie gehen
würde wusste sie nicht, nur dass sie dieses Haus verlassen wollte
und auch diese Stadt mit den vielen schrecklichen Erinnerungen. Sie wollte
einen Neubeginn und nicht mehr bei Menschen leben, die ihr misstrauten.
Jetzt war es Frühling, das war eine gute Zeit für einen Wandel.
Unwillkürlich
dachte sie an Sitair zurück, der ihr vor einem Jahr von seinem Bruder
Tref erzählt hatte. Auch er hatte nur Lob für ihn gekannt und
selbst die Aufständischen in dieser Stadt teilten seine Meinung. Sie
hätte diesen Prinzen gerne einmal gesehen, wo sie doch den anderen
auf so unliebsame Weise kennen gelernt hatte.
Laute Stimmen rissen
sie aus ihren Gedanken. Schon polterten schwere Schritte die Treppe herauf.
Aisa ahnte nichts Gutes, da wurde ihre Türe bereits aufgestoßen
und ein Soldat stürmte herein. Hart packte er sie am Arm.
„Was wollt ihr von
mir?“, rief Aisa, doch sie wusste es bereits.
Als der Soldat ihr
antwortete: „Du bist festgenommen“, und als sie die anderen Frauen in der
Stube versammelt sah, wunderte sie sich nicht. Gemeinsam wurden sie auf
die Straße getrieben und dann immer weiter den herrschaftlichen Hügel
hinauf.
(c)
Karin Sittenauer
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